Masken: Ein menschliches Urphänomen

Masken können Spiel, Kunst, Kult, Schein, Schutz, Trug und Tarnung sein. Sie verhüllen nicht nur, sondern verwandeln. Seit Jahrtausenden haben sie den Menschen fasziniert.

 

Die alten Griechen liebten Masken und das Verwandlungsspiel. Die meisten ihrer Götter hatten die Gabe ihre Gestalt zu wandeln. Alles das, was Maske sein kann, personifizierte vor allem Dionysos, der Gott des Weines. Beim Kult hängte man symbolisch eine Doppelmaske auf, die an das Wort Heraklits erinnert: “Ein und derselbe aber sind Hades und Dionysos, dem sie toben und feiern.“ Der Gott überschäumender Lebensfreude war auch der Gott der Unterwelt, grausam und lustvoll zugleich.

 

In Athen wurden zu seinen Ehren die Dionysien gefeiert, ein wilder Karneval, aus dem sich in klassischen Zeit eine Art jährliches Theaterfestival entwickelte. Bei den Aufführungen wechselten anzüglich-witzige Komödien mit düster-blutrünstigen Tragödien. Auch die Schauspieler trugen Masken vor dem Gesicht. Durch einen geöffneten Schlitz am Mund tönten die zu sprechenden Worte hervor, was dazu geführt hat, die Rolle, die einer zu spielen hatte, als Per-sona zu bezeichnen. Personare bedeutet im Lateinischen: hindurchtönen. Nach Abschluss des Stückes wurde die Maske wieder abgelegt und der Schauspieler durfte wieder er selbst sein. Es war ganz klar, dass er über seine Rolle hinaus immer noch mehr war, als der, den er darzustellen hatte. Auch konnte er am darauffolgenden Tag sehr wohl in einer völlig anderen Maske auftreten.

 

Anders im Leben. Jeder Mensch wird mehr oder weniger genötigt eine bestimmte Rolle zu spielen. Und zwar gemäß Titel, Stand und Alter. In der bürgerlichen Enge von Dorf oder Kleinstadt mehr als in der Anonymität der Großstadt. Daraus können sich heftige Spannungen im individuellen Lebensgeschehen ergeben. C.G. Jung schreibt dazu: „Man könnte mit einiger Übertreibung sagen: Die Persona sei das, was einer eigentlich nicht ist, sondern was er und die anderen Leute meinen, dass er es sei.“ Die Persona ist daran interessiert, dass das möglichst nicht hervortritt, was man in der Sprache der Tiefenpsychologie den „Schatten“ nennt.

Heilige Maske und Seelenschutz

Magret Hofheinz-Döring: Picasso mit Stiermaske
Magret Hofheinz-Döring: Picasso mit Stiermaske

Mit ihrem Schatten mussten sich schon unsere frühesten Vorfahren herumschlagen. Von daher haben Tiermasken von jeher eine so große Bedeutung. Vom psychologischen Gesichtspunkt aus ist das Tier ein Symbol der Trieb- und Instinktnatur. Zahlreiche Mythen berichten davon, dass ein „Urtier“ geopfert werden musste und dass dieses Opfer Fruchtbarkeit bewirkte. In den Religionen fast aller Völker werden die höchsten Götter mit Tierattributen bedacht oder als Tiere dargestellt. Bei den Babyloniern wurden Götter in Gestalt von Widder, Stier, Krebs, Löwe, Skorpion und Fisch in den Himmel versetzt und gelten bis heute als Zeichen des Zodiakus. Auch die griechische Mythologie ist durchsetzt mit Tiersymbolik. Zeus selbst war einer der größten Verwandlungskünstler und wählte die Gestalt von Schwan, Stier oder Adler, um seine Verführungsspiele zu inszenieren.

 

Tiermasken spielen bis heute bei Naturvölkern eine wichtige Rolle. Bei den Bantus beispielsweise wie bei anderen afrikanischen Völkern stellt die heilige Maske das Totemtier dar, welches als der Vorfahre des Stammes angesehen wird, ein zeitloses Urbild, von dem die Ahnen ihre geistige Kraft empfangen haben. Gewöhnlich betrachtet man die Maske als ein wirkliches Wesen; man behandelt sie, als wäre sie lebendig. Ein Zauberer, der eine Löwenmaske trägt, gibt nicht nur vor, ein Löwe zu sein, sondern er hält sich wirklich für einen Löwen. Tiermasken und die entsprechenden Tänze bedeuten immer auch Versöhnung zwischen dem Menschen und seiner Tiernatur. Initiationsriten der Jugendlichen dienen eigens dazu diese Beziehung herzustellen.

 

In unserer zivilisierten Welt ist man eher bemüht, alles, was unter der Oberfläche kreucht und fleucht unter Verschluss zu halten. Und dazu lassen wir uns allerhand einfallen. Aber einige Masken wachsen uns auch ganz von alleine zu. Sie sind notwendiger Seelenschutz. Es ist die Folge des Bewusstwerdens des Menschen, denn sich seiner selbst bewusst werden, bedeutet unweigerlich auch erkennen, dass man unvollkommen ist. Dieser Vorgang produziert Scham. Scham wiederum sucht Bedeckung. Deshalb tragen Säuglinge und Kleinkinder keine Masken; sie benötigen sie nicht, sie sind noch nicht beschämbar.

Maskenreiche Dichtung

Jede Gestalt der Literatur ist immer auch eine Maske ihres Schöpfers, denn wie sagte Goethe: „Fühlst du nicht an meinen Liedern, dass ich eins und doppelt bin?“ Goethe barg in sich die Möglichkeiten zu den unterschiedlichsten Persönlichkeiten. In ihm lebten Werther und Iphigenie, Tasso und Antonio, Prometheus und Ganymed, Wilhelm Meister und Hafis, Faust und Mephisto zugleich; die ganze Spannbreite also zwischen Gott und Dämon, denn bekanntlich führt ja erst ein erlöster Mephisto zur Ganzheit. Nicht zufällig hat den Naturforscher Goethe die Idee der Metamorphose so fasziniert. Im zweiten Teil seines „Faust“ tritt die Hauptgestalt der Tragödie als maskierter Plutus auf, als Gott des Reichtums und des Überflusses inmitten eines Hoffestes, bei dem Gestalten der antiken Mythologie – Gott Pan, die Grazien, Nymphen und Furien - sowie vielfältige menschliche Berufe und Begabungen durch Masken dargestellt werden.

 

Goethe hatte den römischen Karneval kennengelernt, dem er allerdings wenig abgewinnen konnte. “Karneval in Rom muss man gesehen haben, um den Wunsch völlig loszuwerden, es je wieder zu sehen. . . An den letzten Tagen war ein unglaublicher Lärm, aber keine Herzensfreude.“ Immer und überall war Goethe auf der Suche nach dem Schönen und Wahren, besonders interessierte ihn die Kunst der alten Griechen. Während der Italienreise übte er sich fortwährend im Zeichnen und davon hielt ihn auch der ganze Trubel nicht ab. „Da man aber das Nachbilden hier nicht lassen kann, so sind zur Lust der Kinder Masken des Karnevals und römische Kleidung gezeichnet.“ Diese lebendig gebliebenen Eindrücke lockten ihn, die konventionell gewordenen höfischen Maskenbälle und Karnevalsumzüge zu veredeln. Sie sollten nicht länger im „Dienste der Eitelkeit stehen“, sondern von dichterischem Gehalt erfüllt sein und die Feiernden auf angenehme Weise an ihre Überlieferung erinnern. In diesem Sinne schrieb er neben seinen großen Dramen auch eine ganze Reihe von Singspielen und Gedichten für Maskenzüge und pantomimische Ballette. Der Geburtstag des Herzogs Karl-August, die Verlobung einer Prinzessin, ein Staatsbesuch spornten Goethe immer wieder an, Redouten und ähnliche Spiele in Weimar zu arrangieren und poetisch zu verklären; am großartigsten gelang ihm der Maskenzug von 1818 zu Ehren der Kaiserin Maria Feodorowna.

 

Viele Schriftsteller behelfen sich des Pseudonyms, um ihre anderen „Ich“ zu erproben. Männer werden zu Frauen. Frauen zu Männern. Manche Frau wäre ohne männliches Pseudonym sicher nie zu literarischen Ehren gekommen. Pseudonym ist immer Maske. Eine der facettenreichsten Gestalten war der portugiesische Lyriker Fernando Pessoa ( 1888 - 1935 ). Er lebte ganz nach der Devise: „Sei vielgestaltig wie das Universum!“ Nomen est omen. Vielleicht wurde schon sein bürgerlicher Name dem Dichter zum Schicksal. Pessoa ist nämlich die portugiesische Entsprechung zum lateinischen „Persona“. Pessoa befasste sich nicht nur lyrisch mit den Themen Maske, Rolle und Persönlichkeit, sondern schuf auch sechs voneinander deutlich unterschiedliche Dichtergestalten, unter deren Namen er veröffentlichte. Für jedes seiner Pseudonyme dachte er sich detaillierte Biografien, ja, sogar bis in alle Einzelheiten gehende Horoskope aus. Pessoa war in einem solchen Maße von seinen Masken besessen, dass er immer neue Dichter hinzuerfand, die er mit präzisen Angaben über Aussehen, Lebensumstände, Beruf und Bildung und mit je eigenem künstlerischen Stil ausstattete, bis er am Ende selbst nicht mehr wusste, wer er denn nun wirklich war.

 

Einige Gedichte, die er seiner Erfindung Álvaro de Campos zuschrieb, lassen ahnen, über welchen Abgründen der Dichter oft balancierte, wenn er sich im Überschuss seiner Anlagen zu verlieren drohte. „Ich vervielfache mich, um mich zu fühlen / ich musste alles fühlen, um mich zu fühlen / ich trat aus den Ufern und strömte über / entkleidete mich und gab mich hin / und in jedem Winkel meiner Seele raucht ein Altar für einen anderen Gott.“

 

Trotz aller Tiefen, Pessoa kannte auch das wohltuende Gefühl, sich in Zeiten der Unschuld zurückversetzen zu lassen. „Ich legte die Maske ab und besah mich im Spiegel: Wieder war ich das Kind von einst / Ich hatte mich nicht verändert. . . Das ist der Vorteil, wenn man die Maske ablegen kann / Man ist immer das Kind und die Vergangenheit, die das Kind erlebte / Ich legte die Maske ab und setzte sie wieder auf / So ist es besser / so ohne Maske /. . . 

 

Ja, ohne Maske ist es besser. Viel besser. . .  Tut es nicht unglaublich gut, die Masken auch mal abzusetzen  und dem eigenen Spiegelbild zu versichern: „Ich mag dich, so wie du bist."

 

 

Literatur:

Gerd-Klaus Kaltenbrunner: Schriftenreihe Initiative 48 – Macht der Masken, München 1982                                           C.G. Jung: Der Mensch und seine Symbole. Düsseldorf, 2009                                                                                         Gerold Dommermuth-Gudrich: 50 Klassiker Mythen. Hildesheim 2002                                                                                 Johann Wolfgang von Goethe: Gesammelte Werke in sieben Bänden, Band 7, Gütersloh 1960                                 

Bildquellen © wikimedia commons                                                                                                                                            Artikel: Nora Thielen


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Seit Jahrtausenden dient das Wandern der Sinnsuche, in vielen Religionen ist das Wandern selbst Gebet. Durch kaum eine Praxis lässt sich die Aufmerksamkeit natürlicher nach innen verlagern als durch Gehen. Der dänische Philosoph Kierkegaard hat die Erfahrung gemacht, dass er sich jeden Kummer, ja sogar jede Krankheit weggehen konnte.Ich gehe jeden Tag zu meinem Wohlbefinden und entferne mich so von jeder Krankheit. Ich habe mir meine besten Gedanken ergangen, und ich kenne keinen noch so schweren Kummer, den man nicht weggehen kann.“ 

       

Jeder passionierte Wanderer kennt es: Beim Gehen reguliert sich    der Atem, die Gedanken ordnen sich, die Seele kommt wieder mit.  Schritt  für Schritt erobern wir uns das menschliche Maß zurück. 

                                                                                                                    Das ständige Gehen, die gleichmäßige Bewegung, der man sich überlassen kann, ohne viel zu denken, kann zu einem Reinigungsweg werden. Man kann vieles abfallen lassen. Innere Unruhe legt sich. Man geht sich frei. Von aller Unrast, allem Unmut, allem Unrat der Seele.  Von daher ist in vielen Religionen das Gehen selbst Gebet. Man wandert zu etwas Heiligem, doch gleichzeitig ist man immer auch auf der Reise zu sich selbst. Und dieser Weg, die Erfahrung des Auf-dem-Wege-Seins ist der wahre Grund des Pilgerns und unterscheidet es von allen anderen Formen der Fortbewegung..

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