Vegetarismus: Über die Enthaltung vom Beseelten

Das Goldene Zeitalter. Lucas Cranach der Ältere, um 1530

Der Vegetarismus ist keineswegs wie oft angenommen eine moderne Ernährungsweise, sondern Bestandteil jahrtausendealter spiritueller und kultureller Traditionen.

 

In der vorchristlichen Antike taucht die Idee der fleischlosen Ernährung erstmals in den Mythen auf. So berichten Hesiod, Platon und Ovid von einem vergangenen Goldenen Zeitalter, wo es noch keine Fleischnahrung gab. Die Menschen lebten sorglos wie die Götter in ungestörtem Frieden, frei von Kummer, Plagen und Jammer, hüteten ihre großen Viehherden und genossen ihre üppigen Mahlzeiten, die die Erde von sich aus reichlich hervorbrachte. Deshalb kannten sie kein Unheil. Ihre Körper alterten nicht, ihr Tod war ein Einschlafen.

 

Als historisches Phänomen ist der Vegetarismus in Europa erstmals im 6. Jahrhundert v. Chr. belegt. Großenteils waren seine Vertreter ethisch motiviert, verwarfen Tieropfer und betonten die Gemeinsamkeiten zwischen Mensch und Tier. Vegetarier waren die Orphiker, eine religiöse Bewegung, die sich damals in Griechenland verbreitete, sowie der große Mathematiker und Philosoph Pythagoras und seine Anhänger. In beiden Traditionen wurde auf Eier und auf die damals allgemein üblichen rituellen Tieropfer verzichtet. Im 5. vorchristlichen Jahrhundert trat Empedokles als radikaler Vertreter des Vegetarismus und einer allgemeinen Verschonung der Tiere hervor. Auch unter den Schülern des Philosophen Platon war der Anteil der Vegetarier und Tierfreunde sehr hoch. In der berühmten Platonischen Akademie trat nach Platons Tod Xenokrates für den Vegetarismus ein, unter den Schülern des Aristoteles war es Theophrastos. Ein Teil der prominenten kaiserzeitlichen Platoniker und Neuplatoniker lebte vegetarisch, darunter Apollonios von Tyana, Plotin und der namhafte Universalgelehrte Porphyrios. Porphyrios verfasste denn auch eine umfangreiche Schrift: De abstinentia, - Über die Enthaltung vom Beseelten, wo er entschieden die Auffassung vertritt, die Verdauung der Fleischnahrung belaste den Körper, ihre Beschaffung und Zubereitung sei aufwändig und lenke daher von den wichtigen Aufgaben des Philosophen ab. Es handle sich um einen Luxus, der mit der philosophischen Genügsamkeit unvereinbar sei.

Das griechische Rezept für ein langes Leben

Mit den Ernährungstipps ihrer Gelehrten waren die alten Griechen gut beraten. Nicht umsonst heißt es in einem Reisemagazin: Menschen, die sich gesund ernähren wollen, kommen in Griechenland auf ihre Kosten. Die meisten Griechen ernährten sich von je her recht einfach. Nahrungsgrundlage war in der Antike vor allem Gerste, Emmer und Einkorn, aber auch Hülsenfrüchte wie Linsen, Erbsen und Kichererbsen. Aus den verschiedenen Getreidearten stellte man Brot, Breie und Kuchen her. Aus den Hülsenfrüchten vorwiegend Suppen und Eintöpfe.

 

Wissenschaftlichen Studien zeigen, die Bewohner des Mittelmeerraumes leben länger und leiden weniger an den sogenannten Zivilisationskrankheiten als andere Europäer. Die erstaunlichsten Ergebnisse erzielten die Bewohner der Insel Kreta. Für sie ist das Geheimnis guter Gesundheit sehr einfach: Wie im Goldenen Zeitalter essen sie, was die Insel hergibt. So gehören zu den Grundnahrungsmitteln frisches Gemüse wie Paprika, Tomaten, Zucchini, Kohl, Auberginen, Artischocken, Spinat, Sellerie, Kartoffeln, Zwiebeln, Knoblauch, Salate und Obst. Wichtige Eiweißträger sind nach wie vor Hülsenfrüchte. Gewürzt wird mit heimischen Kräutern, angerichtet mit Olivenöl. Desserts süßt man oft mit Naturprodukten wie Honig oder Most. Brot wird wie früher aus grob gemahlenem Weizen oder Gerste hergestellt. Fleisch hingegen steht seltener auf dem Tisch.

 

Orpheus von Tieren umgeben. Römisches Mosaik aus dem dritten Jahrhundert.
Orpheus mit den Tieren, römisches Mosaik 3. Jh.

 

 

Solange Menschen Tiere massakrieren,  

werden sie sich auch untereinander töten.  

Wahrlich, wer Mord und Schmerz aussät,  

kann nicht Freude und Liebe ernten.

                                                                

                                                                     Pythagoras                                                                                                                                                 

Vegetarier des frühen Christentums

Universelles Mitgefühl für alle Geschöpfe entspricht den höchsten Idealen vieler Weltreligionen, so auch den ethischen Geboten des Alten Testaments. Gleich im 1. Buch Mose ist zu lesen, dass für den Menschen ursprünglich eine vegetarische Ernährung vorgesehen war. „Sehet da, ich habe euch gegeben allerlei Kraut, das sich besamt auf der ganzen Erde und allerlei fruchtbare Bäume, die sich besamen, zu eurer Speise.“ Im 2. Buch Mose steht: “Du sollst nicht töten.“ Im hebräischen Original heißt es „lo tirzach“. Dieses Wort bezieht sich nicht nur auf das Töten von Menschen, sondern auf jede Art von Tötung. Dieses sechste Gebot entspringt der Liebe für die gesamte Schöpfung und das Befolgen gewährt die harmonische Ordnung in der Natur. Auch Propheten wie Jesaja, Jeremia, Amos, Hosea, Daniel und Hesekiel sprachen sich gegen die Schlachtung und den Verzehr von Tieren aus. Die Vermutung liegt nahe, dass sie selbst gemäß ihren Lehren lebten.

 

Ob Jesus Vegetarier war oder nicht, da scheiden sich die Geister. Die gängigen Bibelaussagen des Neuen Testaments behaupten, Jesus sei Fleischesser gewesen. Allerdings würde heute kaum ein Bibelexperte bestreiten, dass es in den Evangelien und Episteln Veränderungen und Streichungen gegeben hat. Angeführt sei hier an erster Stelle das von Kaiser Konstantin geleitete Konzil von Nicäa, 325 n. Chr. Um die Macht im römischen Reich zu stabilisieren, wurden damals die christlichen Lehren quasi amtlich auf einen allen Kirchenvertretern gemeinsamen Nenner gebracht. Zudem stößt man bei der Interpretation der Bibeltexte auf Schwierigkeiten, die allein schon eine Übersetzung aus dem Griechischen mit sich bringt. Findet man im Neuen Testament das Wort „Fleisch“, so hatte dieses Wort vielmehr die Bedeutung von „Nahrung“ im weitesten Sinne..

 

Ähnliche Missverständnisse gibt es bezüglich des Wortes „Fisch“. Das griechische Wort für „Fisch“ lautet I-CH-TH-U-S. Es besteht aus den Anfangsbuchstaben der Wörter Iēsoũs Christós Theoũ Hyiós Sōtḗr. Übersetzt: Jesus Christus, Gottes Sohn, Erlöser.  Demzufolge hat das in der Bibel vorkommende Wort „Fisch“ eine weit tiefere Bedeutung als die reale Beschreibung eines toten Tieres.

 

Spätestens seit dem Fund der berühmten Qumranschriften, die ein beduinischer Hirtenjunge im Jahre 1947 nahe dem Toten Meer entdeckte, kommt man dem Urchristentum etwas näher. Angenommen wird, dass der historische Jesus bei den Essenern aufwuchs, einer autarken jüdischen Gemeinschaft, die sich einige Jahrhunderte vor seiner Geburt vom orthodoxen Judentum abspaltete und seither eigene Wege ging. Philo von Alexandrien, ein Historiker und Zeitgenosse Jesu, sagt von ihnen: “Sie werden Esseni genannt wegen ihres heiligen Auftretens. Sie opfern keine Tiere und betrachten einen ehrfürchtigen Geist als das einzig wahre Opfer.“ Als Ausdruck ihres Mitgefühls und ihrer Liebe für alles Leben lehrten sie den Vegetarismus. Dass Jesus nach ihren Lehren lebte, findet man im Friedensevangelium der Essener, einer Reihe aramäischer Originaltexte, die Dr. Edmond Bordeaux Székely im Jahre 1927 in den Archiven des Vatikans entdeckte. In einem Zitat Jesu heißt es darin: „Aber ich sage euch: Tötet weder Mensch noch Tier, noch die Nahrung, die euer Mund aufnimmt. Denn wenn ihr lebendige Nahrung esst, wird sie euch beleben, aber wenn ihr eure Nahrung tötet, wird euch die tote Nahrung ebenfalls töten.“ 

 

Viele urchristliche Gruppen wie die jüdisch-christliche Gemeinschaft, die Gnostiker, die Ebioniten und die Montanisten ernährten sich vegetarisch. Kirchenväter wie Tertullian, der heilige Johannes von Chrysostomos, Clemens von Alexandrien, Origenes, der heilige Benedikt, Eusebius, Plinius, Papias, Cyprian und Pantaenus sahen den Vegetarismus als Bestandteil des Christentums.

 

Einer der bedeutendsten Vertreter des lateinischen Christentums war der um 155 in Karthago geborene Quintus Septimius Florens Tertullianus oder kurz Tertullian. Tertullian gilt als einer der originellsten lateinischen Kirchenautoren. Sein spirituelles Verständnis war so tief, dass ihn der Bischof von Karthago ehrfürchtig als den „Meister“ bezeichnete. Aus seinen glühenden, oft rigorosen Schriften spricht vermutlich noch der Einfluss der ursprünglichen Lehren, auf Grund derer sich frühe Kirchenpersönlichkeiten noch vegetarisch ernährten. „Wie kannst du glauben, Christus habe mit ebenso maßloser Lust gegessen und getrunken wie du. Er, der die Hungrigen und Durstigen segnete, der den Willen seines göttlichen Vaters ausführte, hat sich selbstverständlich abstinent gehalten – er wies die Menschen an, sich von jener Kraft zu nähren, die das ewige Leben ermöglicht. Er führte sie in ihren Gebeten dazu, nicht um Fleischnahrung, sondern um Brot zu bitten.“

 

Den Wegbereitern des Vegetarismus hat sich im Laufe der Geschichte eine lange Reihe großer Geister angeschlossen: Leonardo da Vinci, Alexander von Humboldt, Arthur Schopenhauer, Antonio Gaudi, Gandhi, Newton, Darwin, Einstein, um nur einige zu nennen. Sie alle lebten fleischlos.

 

Literatur:

Gabriel Cousens: Harmonie und Gesundheit mit vegetarischer Ernährung, Freiburg 1998, S.105 f., 114 f., 125 ff.              Mark Püttmann: Internet- Artikel: Ernährung in Griechenland.                                                                                                           American Vegan Society: Here’s Harmlessness. An Anthology of Ahimsa, 5/1993, S.19                                                                  Über das Konzil von Nicäa hat Claus Krämer geschrieben: Die Heilkunst der Kelten, Darmstadt 2004, S. 36 f.

Bildquellen: wikimedia commons                                                                                                                                                          Artikel: Nora Thielen


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